Künstler und Amateur

Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind die Worte zum Thema Kunst, Künstler und Dilettantismus, die Goethe im 2. Kapitel der Lehrjahre seinen Wilhelm im Gespräch mit seinem eher praktisch veranlagten Freund Werner sagen lässt. Das sind thesenartig zusammengefasst etwa folgende Aussagen:

Ein Künstler zeichnet sich aus durch folgende Eigenschaften:

  • •Technik und Ausdrucksfähigkeit sind hoch entwickelt und wirken auf die Menschen
  • •Kunst erfüllt ihn ganz, ist Lebensinhalt und nicht austauschbar
  • •Sein Erleben der Welt ist intensiver, gleichzeitig aber distanzierter und weiser als das der „normalen“ Menschen.
  • •Seine Kunst und seine Fähigkeit die Welt zum Klingen und Leuchten zu bringen, wird von den Menschen geschätzt und gebraucht.
  • Für den jungen Wilhelm Meister sind zentrale Eigenschaften eines Künstlers:
  • • die erforderliche Begabung und ihre hohe Entwicklung sowie das große Bemühen um diese Entwicklung,
  • • die ganz und gar das Leben eines Künstlers beherrschende Rolle der Kunst.


Goethe lässt Wilhelm noch andere Eigenschaften eines Künstlers nennen, nämlich
1. Die Begabung, das Talent bestehen nicht nur in der Fähigkeit „schöne Bilder zu entwickeln“, (also die Sprache der jeweiligen Kunstgattung zu beherrschen), sondern auch darin, es zu schaffen, mit diesen „schönen Bildern“ die anderen Menschen mit seiner Kunst zu erreichen, also „sich ihrem Verständnis anzunähern“.
2. Dadurch erfüllt er für die anderen Menschen eine Art „emotional/kognitiver Dienstleistung“: Er kann ihre Gefühle durch seine Kunst überhöht und viel deutlicher, glanzvoll oder ergreifender zum Ausdruck bringen, so, wie sie selbst es nicht vermögen. Sie genießen es, in seiner Kunst in ihren Gefühlen und Leistungen verstanden und angemessen gewürdigt zu werden.
3. In seiner Psyche unterscheidet ein Künstler sich nach den Vorstellungen des Wilhelm Meister von den anderen Menschen durch eine größere Erlebnis- und Gefühlsintensität und gleichzeitig dadurch, dass er das Geschehen des Alltags distanzierter erleben kann.
4. Wilhelm sieht im Künstlertum keinen Beruf, sondern ein von der Natur und den Göttern auserwählt und begünstig Sein. Für Wilhelm ist er ein über die anderen Menschen erhobenes Wesen, das aber gleichzeitig dazu verpflichtet ist, seine Fähigkeiten den anderen zur Verfügung und Nutzung anzubieten.

In Goethes Roman hält Werner dagegen: Kunst, eben auch Laienkunst, bedeute vor allem die Freude am Schaffen, die sinnvolle Beschäftigung, und sie bringe manches hübsche Ergebnis etc.

Tatsächlich: Ist das, was hier Wilhelm vorträgt nicht eine wahnsinnig überhöhte Vorstellung vom Künstlertum?

Und das alles legt Goethe seiner Figur in den Mund. Was meinte nun Goethe selbst?
Wenn ich den Wilhelm Meister richtig verstehe, dann geht es Goethe um eine Relativierung dieser überhöhten Auffassung von Kunst und Künstler. An anderer Stelle z.B. im Kontext seiner Italienreise spricht er z.B. von der Erlernbarkeit der gestaltbildenden Kunst. Goethe war auch Praktiker, Minister, Verwalter, Organisator, Investor und hielt diese Seite seines Lebens lange für notwendig. Andererseits hat er sich in seiner 2. Lebenshälfte für die Kunst und nichts als die Kunst entschieden.

Auf die gegenwärtige Zeit angewandt, komme ich bei meinen Überlegungen zur Differenzierung zwischen Künstler und Laienkünstler zu folgenden Fragen und Aussagen

Laut Wikipedia wird „Beruf“ wie folgt definiert: „Ein Beruf ist die im Rahmen einer arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung aufgrund besonderer Eignung und Neigung systematisch erlernte, spezialisierte, meistens mit einem Qualifikationsnachweis versehene, dauerhaft und gegen Entgelt ausgeübte Betätigung eines Menschen“.

Wie wäre nun der „Beruf Künstler“ im Rahmen einer solchen Definition zu sehen?

  • Ist Kunstschaffen ist ein erwerbsmäßiger Beruf?
    Nicht umsonst taucht die die Auffassung des Kunstschaffens als „Beruf“ bei der Sozialversicherung, dem Finanzwesen etc. auf.
    Ich denke: Für einen Künstler ist es sicher erstrebenswert, mit seiner Kunst Geld zu verdienen und womöglich, seinen gesamten Lebensunterhalt durch seine Werke zu bestreiten.

Aber:
Wie viele Künstler wurden zu ihrer Lebenszeit nicht als solche anerkannt und waren arm wie die Mäuse. Wie viele Künstler leben nicht von ihrer Kunst, sondern halten sich mit einem anderen Broterwerb über Wasser? Sind sie deswegen dann keine Künstler?

  • Ist das Künstlersein Ergebnis einer Ausbildung mit entsprechendem Qualifikationsabschluss?
    Künstlerausbildungsstätten vergeben Qualitätssiegel und helfen dabei, dem künstlerisch Tätigen im Alltag ein bürgerliches Leben zu sichern. Gleichzeitig helfen sie natürlich auch beim Erwerb der künstlerischen Sprache und geben Anstöße für einen eigenen künstlerischen Ausdruck.

Aber:
Heißt das, jemand ist nur dann ein Künstler, wenn er einen entsprechenden Abschluss vorzuweisen hat?

  • Das Beherrschen der jeweiligen künstlerischen Sprache ist Voraussetzung für gelungene Kunst.
    Da sind wir uns wohl alle - einschließlich Wilhelm Meister -einig. Und natürlich ist die jeweilige künstlerische Sprache erlernbar bis hin zur Perfektion – wenn gewisse Voraussetzungen an Talent und z.B. körperlichen Bedingungen vorhanden sind.

Aber:
Es gibt Menschen, die Gemälde berühmter Maler so gut nachmachen können, dass man ihr Werk nicht vom Original unterscheidet – gleichzeitig sind sie aber nicht in der Lage, Eigenes mit einem überzeugenden Ausdruck hervorzubringen.
Gute Technik allein macht noch kein Kunstwerk.
Andererseits heißt das m.E. auch nicht, dass Laien keine erhaltenswerten, sehr künstlerischen Werke schaffen könnten. Das sind dann aber mehr oder weniger zufällige Einzelergebnisse, die sich von den Schaffenden in der Regel nicht kontinuierlich und gezielt wiederholen lassen, weil und wenn ihnen die Beherrschung der entsprechenden künstlerische Sprache nicht sozusagen abrufbar zur Verfügung steht.

Gerade der letzte Aspekt bedarf m.E. unbedingt verschiedener Ergänzungen, um aus der erlernten Kompetenz, eine künstlerische Sprache gut zu beherrschen, die Fähigkeit entstehen kann, Kunst zu schaffen:

Was aus meiner Sicht zu diesem Erlernen der künstlerischen Sprache auf hohem Niveau hinzukommen muss, damit einer oder eine sich Künstler oder Künstlerin nennen darf, (und da stimme ich mit Wilhelm überein) sind:

1. Eine Inspiration, der Wunsch, sich auszudrücken, sich mitzuteilen.
Wilhelm nennt es Gnade der Götter. Ob es sich dabei um ein „Sendungsbewusstsein“ handelt, bezweifle ich. Ambitionierte Kunst kommt meist sehr belehrend und anstrengend daher. Ich glaube eher, es handelt sich um einen intensiven Mitteilungs- und Ausdrucksdrang und das Bedürfnis, bestimmte Themen, Erfahrungen, Gefühle künstlerisch „in den Griff zu bekommen".

2. Distanz zum Alltag und den Ereignissen.
Distanz bedeutet dabei eine gewisses Absonderung von den anderen und ihrem Erleben im Alltag. Künstler haben eine Art 2. Erlebniswelt in sich, die von den äußeren Erlebnissen gespeist wird, aber eine eigenen Dynamik besitzt und für viele Künstler wichtiger und vielleicht sogar realer ist, als die eigentliche Erlebenswelt.

Viele Dichter berichten, dass für sie das künstlerische Bearbeiten und Verarbeiten von Alltag und Ereignissen oft wichtiger ist als die Wirklichkeit. Viele Künstler sind dann unproduktiv, wenn sie sich in Lebensphasen befinden, wo sie durch ihr ganz direktes Leben voll und zur Zufriedenheit ausgefüllt sind. Und nicht umsonst befürchten Künstler, die sich wegen ihrer psychischen Probleme in psychotherapeutische Behandlung begeben (müssen), dass mit der Heilung ihre Schaffenskraft und Kreativität verschwinden könnte.

3. Das Besondere an der Psyche von Künstlern – Goethe spricht hier von göttlicher Begnadung – ist - psychologisch nüchtern betrachtet - ein Konglomerat aus einer hohen Sensibilität und aus anhaltenden Schwierigkeiten mit sich und der Welt ins Reine zu kommen.
Künstler empfinden sich in ihrer Art und Weise, die Welt wahrzunehmen, als anderes als andere Menschen.

4. Hinzu kommt eine Art Suchtverhalten: das Kunst-Schaffen ist dauerhaft lebensnotwendig, man kann nicht von ihr lassen, sie beherrscht das Leben des Betroffenen.

Was wäre aus so einer Definition für das Verständnis von Laien-, Amateur-, Liebhaberkunst gegenüber "wirklicher" Kunst, von „Dilettantismus“ und künstlerischer Professionalität abzuleiten?

Meines Erachtens kann man das nicht so pauschal beantworten. Sicher ist, dass die oben beschriebenen Voraussetzungen für Kunstschaffen bei Amateuren, Laien etc. nicht alle vorhanden sind. Was, welche Eigenschaften, Fähigkeiten oder auch Umstände im Einzelnen nicht vorhanden ist oder stören, das kann sehr unterschiedlich sein.
as Schaffen der Laien oder Amateure ist entsprechend dem, was an künstlerischen Eigenschaften, Motiven und Voraussetzung doch immerhin vorhanden ist, nicht selten weit oder aber auch nur wenig vom Künstlertum entfernt.
Deshalb möchte ich auch nicht zwischen Künstler und „Amateur“ eine unüberwindbare Linie ziehen.

Möglich sind z.B. folgende „Mängel“ bei Amateuren in Bezug auf die Frage, ob sie künstlerisch tätig sind (die Reihenfolge hier ist rein zufällig):

1. Vielleicht fehlt ihnen eine gute Begabung und sie sind nicht in der Lage, mit ihren Ergebnissen, etwas auszudrücken, was andere berührt und erreicht.

2. Vielleicht ist Begabung durchaus vorhanden, aber sie arbeiten nicht genug an sich und ihrem künstlerischen Ausdruck.

3. Oder sie betrachten ihre „künstlerischen Ergebnisse“ nur aus formaler, ästhetisch-formaler Sicht oder schaffen rein nach dem Geschmack der möglichen Rezipienten (z.B. Kunsthandwerk).

4. Viele betrachten ihr Schaffen als Hobby, als Nebenbeschäftigung, als Abwechslung und Erholung vom – eigentlichen – Alltagsgeschäft -, entweder, a. weil es ihnen so reicht, oder b. weil die Umstände sie dazu zwingen. (Wären sie allerdings von ihrem künstlerischen Anspruch besessen, würden sie sicher Wege finden.)

5. Andere verfügen nicht über eine besonders hohe Sensibilität und leben nicht mit inneren Zuständen, die nur über eine künstlerische Bearbeitung bewältigt werden können.

6. Oder sie haben keine eigene Inspiration, kein Thema, dass sie bearbeiten wollen, kein Ausdrucksbedürfnis.

7. Und nicht selten schiebt sich der eigentliche Alltag, ihr wirkliches Leben immer wieder in den Vordergrund und ist wichtiger für sie als das Kunstschaffen.

Ein Amateur kann sich nun überlegen, was ihn von einem Künstler im oben definierten Sinne unterscheidet und ob er es so für sich o.k. findet?

Aus einem Amateur kann sich m.E. ein Künstler entwickeln, wenn er eigentlich über alle anderen Voraussetzungen verfügt und sich entschließt z.B. mehr an seinen Fähigkeiten zu arbeiten (2) oder sich von seinem sich in den Vordergrund drängenden Alltag innerlich und äußerlich besser mehr zu lösen (7 und 4b).

Bleibt von den Anregungen durch Goethe ein wichtiger Punkt übrig:

„Seine Kunst und seine Fähigkeit die Welt zum Klingen und Leuchten zu bringen, wird von den Menschen geschätzt und gebraucht.“

Darüber werde ich mir ein andermal Gedanken machen. Ich glaube, das lohnt sich.